Wärmegewinnung aus Abwasser - Praxiserfahrungen in der Schweiz - Teil 1
10.11.2005
Die im Abwasser enthaltene Wärme wird heute meist ungenutzt in die Umwelt abgegeben. Die Abwasserwärme besteht v. a. aus Abwärme von Industrie und Privathaushalten, die ins Abwasser abgegeben wird. Das Nutzungspotential dieser Wärme ist sehr groß: Pro m³ Abwasser kann bei einer Abkühlung von 1 °C theoretisch 1.16 kWh Wärmeenergie entzogen werden. Eine durchschnittliche Abwasser-Wärmepumpe mit einer Leistungszahl von 4 kann damit rund 1.5 kWh Nutzwärme produzieren. Damit kann im Winter geheizt und das ganze Jahr Warmwasser bereitgestellt werden (im Sommer kann umgekehrt mit dem Abwasser auch gekühlt werden). Für die Übertragung der Wärme aus dem Abwasser auf die Wärmepumpe, welche die Abwasserwärme schliesslich in nutzbare Heizwärme umwandelt, braucht es geeignete Wärmetauscher in der Kanalisation.
Im vorliegenden Bericht werden nach einigen allgemeinen Aussagen zur Abwasserwärmenutzung Beispiele bestehender Anlagen in der Schweiz mit besonderem Augenmerk auf die Wärmetauscher und deren Betrieb und Unterhalt beschrieben. Die Grundlagen dazu bilden Projektberichte und Betriebsanalysen ([1] - [4]) sowie einzelne Gespräche mit Anlagenbetreibern. Weiter werden allgemeine Praxiserfahrungen beschrieben.
Das theoretische Wärmeangebot aus dem Abwasser von Kanalisationen und ARA reicht in der Schweiz aus, um 5-10 % aller an eine ARA angeschlossenen Einwohner mit Heizwärme und Warmwasser versorgen zu können. Mit Abwasserwärme könnte also theoretisch der Heizbedarf von rund 500'000 Einwohnern gedeckt werden. Das Wärmeangebot ist also gross genug, wichtiger ist die Frage nach geeigneten Abnehmern und Einsatzmöglichkeiten. Die Wärme kann entweder dem gereinigten Abwasser im Ablauf einer ARA oder dem Rohabwasser aus der Kanalisation vor der ARA entnommen werden. Die Nutzung von Abwasserwärme kommt in der Regel für mittlere Trockenwetterabflussmengen ab 15-40 l/s, d.h. für Gemeinden ab 3'000-10'000 Einwohnern, und in Kanälen mit einem Innendurchmesser von mindestens 800 mm in Frage. Geeignete Wärmeabnehmer (Heizung und Warmwasser) sind Wohnsiedlungen und grössere Gebäude in unmittelbarer Nähe der Kanalisation oder ARA im Leistungsbereich von 50 kW bis mehrere MW. Für die Bereitstellung von Prozesswärme (Vorlauftemperaturen >60 °C nötig) sind Abwasser-Wärmepumpen nicht geeignet.
Binningen (BL)
Seit Ende 2001 versorgt die Wärmeversorgung Binningen AG (WBA) 300 Wohnungen in 61 Gebäuden mit verschiedener Nutzung (Schulhaus, Gemeindeverwaltung, private Bauten) in einem Abwasser-Wärmeverbund. Die Grundlast für Heizwärme und Warmwasseraufbereitung wird mittels 2 Abwasser-Wärmepumpen (Wärme aus dem Abwasser der nahe gelegenen Kanalisation) und 2 BHKW (Blockheizkraftwerke) geliefert. Der Strom für den Antrieb der Wärmepumpen stammt aus den BHKW. Für Spitzenlasten oder Notfälle stehen konventionelle Gas- und Ölheizkessel bereit. Die Abwasser-Wärmepumpenanlage wurde als Pilot- und Demonstrationsprojekt mit Unterstützung des Bundesamtes für Energie realisiert und der Betrieb überwacht. Die Betriebsanalysen [2] haben eine durchschnittliche JAZ von 3.2 ergeben. Im Winter sorgen die BHKW für die Warmwasseraufbereitung, da die thermische Grundlast, die durch die Wärmepumpe bei tieferen Vorlauftemperaturen geliefert wird, höher ist als im Sommer.
Anzahl Wohnungen: | 300 |
Wärmeproduktion: | 2'400 MWh/a |
therm. Leistung WP: | 380 kW |
JAZ: | 3.2 |
Länge WT: | 140 m |
Breite WT: | 0.80 m |
Fläche WT: | 110 m2 |
Leistung | 260 kW |
Mittels 2 zentraler Wärmepumpen werden 31 Einfamilienhäuser seit Anfang 1999 mit Wärme aus dem Abwasser des naheliegenden Hauptsammelkanals der ARA Laufental beheizt (nur Raumheizung, die Warmwasseraufbereitung erfolgt dezentral in den einzelnen Wohnungen, teilweise über Sonnenkollektoren, teilweise über Heizkessel). Ein abgasarmer Flüssiggas-Brenner dient zur Abdeckung von Bedarfsspitzen. Mit der Wärmepumpe werden ca. 75% des Gesamt-Wärmebedarfs abgedeckt. Planung, Bau und professionelle Betreuung der Anlage erfolg(t)en durch die Elektra Birseck Münchenstein (EBM) im Contracting mit der Bauherrschaft. Weil die Neubau-Siedlung über eine sehr gute Wärmedämmung verfügt, kann die Wärme mit tiefen Vorlauftemperaturen über Bodenheizungen verteilt werden. Dadurch arbeitet die Wärmepumpe effizient. Bisherige Messungen ergaben eine durchschnittliche JAZ von 4.6 [3]. Die erwartete JAZ von 5 wurde wegen der stärker als eingeplanten Verschmutzung des Wärmetauschers nicht erreicht. Die Verschmutzung ist die Folge von stärker belastetem Abwasser wegen Betriebsstörungen einer angeschlossenen Papierfabrik. Diese hat mittlerweile ihren Betrieb eingestellt. Dadurch nahm die Wärmetauscher-Verschmutzung ab, jedoch sank aufgrund des fehlenden, warmen Industrieabwassers die mittlere Abwassertemperatur gegenüber der Auslegung, was die Effizienz der Abwasser-Wärmepumpe doch wieder leicht verringerte.
Anzahl Wohnungen: | 31 |
Wärmeproduktion WP: | 230 MWh/a |
therm. Leistung WP: | 52 kW |
JAZ: | 4.4 |
Länge WT: | 10 m |
Breite WT: | 1.06 m |
Fläche WT: | 10.6 m2 |
Leistung WT: | 40 kW |
Seit 1994 versorgt die Energie Freiamt AG (EFA) 200 Wohnungen mit Abwasserwärme über einen verzweigten Wärmeverbund von 3.2 km Länge mit 7 dezentralen Heizzentralen. Die Wärme wird dem gereinigten Abwasser nach der Kläranlage entnommen und als "kalte" Fernwärme zu den bivalenten Heizzentralen transportiert. Jede Zentrale verfügt über eine Wärmepumpe für die Erzeugung der Grundlastwärme und einen Ölheizkessel für die Spitzendeckung. Die Abwasser-Wärmepumpen erzeugen rund zwei Drittel der gesamten benötigten Wärmeenergie. Die Anlagen werden über ein Energiemanagement-System leistungsabhängig geregelt und optimiert. Die ARA und die Heizzentralen sind mit der Leitstelle der EFA verbunden und können von dort aus ferngesteuert werden. Durch die Wärmepumpen werden gegenüber früher rund 300'000 Liter Heizöl pro Jahr eingespart. Dies entspricht einer Reduktion der CO2-Emissionen um rund 750 Tonnen pro Jahr. Beim Projekt konnten wesentliche Teilstrecken des Zwischenkreislaufes zwischen der Kläranlage und den einzelnen Heizzentralen und Wärmeverbrauchern mittels koordiniertem Leitungsbau erstellt werden: Der Leitungsgraben wurde gleichzeitig für die Verlegung der Sekundärkreislauf-Kunststoffrohre (kaltes Fernwärmenetz), Nahwärmenetze (isolierte Stahl- oder Kunststoffrohre), Elektro-, TV- und Strassenbeleuchtungskabel verwendet, wodurch erhebliche Kosteneinsparungen erzielt werden konnten.
Anzahl Wohnungen: | 200 |
Wärmeproduktion WP: | 1’700 MWh |
therm. Leistung WP: | 1’050 kW |
JAZ: | 3.0 |
Abmessungen WT: | 1.5 x 1 x 0.5 m |
Leistung WT: | 700 kW |
In der Sportanlage Bachgraben (Fussball, Leichtathletik, Golf) der Stadt Basel wurde 1982 eine Wärmepumpenanlage für die Beheizung (Fussbodenheizung) und Warmwasseraufbereitung (Duschwasser) der 16 Garderoben erstellt. Es handelt sich damit um eine der ersten Abwasserwärmenutzungsanlagen in der Schweiz. Die Wärmepumpe nutzt die Wärme aus dem Abwasser der nahe gelegenen Kanalisation. Da die Wärmeerzeugung in der Aussensportanlage hauptsächlich im Sommer genutzt wird, wenn die Abwassertemperaturen hoch liegen (17-22 °C), erreicht die Abwasser-Wärmepumpe eine ausgezeichnete durchschnittliche JAZ von ca. 6.5 und arbeitet damit sehr effizient. Nach fast 20 Jahren störungsfreiem Betrieb wurde die Heizanlage im Jahr 2001 erneuert. Die Tatsache, dass erneut eine Wärmepumpe installiert wurde, ist ein Indiz für die Zufriedenheit der Bauherrschaft, des verantwortlichen Personals für die Heizungszentrale sowie den Betreiber der Kanalisation (Bauamt der Stadt Basel).
[1] Elektra Birseck Münchenstein (EBM) u. A.: "Wärmeversorgung Binningen AG - Wärmenutzung aus Abwasser", Projekteingabe "Energy Globe" 2002
[2] Dietler Martin, Elektra Birseck Münchenstein (EBM), i. A. des Bundesamtes für Energie: "Abwärmenutzung aus bestehendem Schmutzwasserkanal in Binningen - Energiebilanz und Betriebsverhalten im Jahr 2003", Schlussbericht, Februar 2004
[3] Längin Eduard, Elektra Birseck Münchenstein (EBM), i. A. des Bundesamtes für Energie: "Abwärmenutzung aus bestehendem Schmutzwasserkanal in Zwingen - Energiebilanz und Betriebsverhalten im Jahr 2000", Schlussbericht, Juni 2001
[4] Businger Ewald, Energie Freiamt AG (EFA), i. A. des Bundesamtes für Energie: "Abwärmenutzung aus der ARA Muri - Betrieb bivalenter Wärmezentralen mit Nahwärmenetzen", Schlussbericht, Dezember 2001
[5] Kobel Beat, Buri René, Ryser Ingenieure AG Bern, Energie in Infrastrukturanlagen, i. A. des Bundesamtes für Energie: "Wärmenutzung aus Abwasser - Leitfaden für Inhaber, Betreiber und Planer von Abwasserreinigungsanlagen und Kanalisationen" (gratis download unter www.infrastrukturanlagen.ch)
René Buri, Dipl. Umweltingenieur
Beat Kobel, Dipl. Bauingenieur / Dipl. Betriebswirtschaftsingenieur
Ryser Ingenieure AG
Engestrasse 9
CH-3000 Bern 9
Tel. +41 31 560 03 44
Fax +41 31 560 03 04
E-mail:rene.buri@rysering.ch
E-mail: beat.kobel@rysering.ch
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