Einschätzungen zu einem vieldiskutierten Thema: Lebensdauer von Kanalsanierungen

30.10.2008

Die Wirtschaftlichkeit von Kanalsanierungsmaßnahmen hängt entscheidend von Nutzungsdauer des eingesetzten Verfahrens ab. Welche Zeiträume sind hier für welche Techniken anzusetzen?

Den Sinn von Kanalsanierungsarbeiten bezweifelt heutzutage niemand mehr. Es ist erkannt worden, dass die teure Investition im Untergrund – das Bauwerk Kanalsystem – erhalten und gepflegt werden muss. Noch vor 20 Jahren musste hier mühevoll Überzeugungsarbeit geleistet werden. Damals waren die Folgen undichter Kanäle unbekannt oder wurden verdrängt, die Gesetzeslage war unklar oder zumindest weniger beachtet worden. Die ersten Eigenkontrollverordnungen ließen ein Fass ohne Boden erwarten.
Doch spätestens bei den hohen Kosten, die der Fremdwasseranteil in der Kläranlage nach sich zog, wurde man hellhörig. Hier konnte durch schnelle Reparaturmaßnahmen Geld gespart werden. Zunächst verlegte man sich häufig auf die Feuerwehrstrategie, die jedoch nur Einzelerfolge versprach. Eine Zeit mit Goldgräberstimmung, besonders bei den wenigen, aber dafür kompetenten Fachfirmen. Mit steigenden Kenntnissen und Erfahrungen wurde bei den Auftraggebern ein strategisch sinnvolles Konzept erforderlich. Ein Konzept, welches den Werterhalt des Gesamtsystems in den Mittelpunkt rückte.
Gesamtkonzept erforderlich
Der aktuelle Stand ist in der Realität auch heute noch recht unterschiedlich. Einige Kanalnetzbetreiber stehen selbst heute noch am Anfang, andere haben bereits Kanalsanierungsprojekte mit unterschiedlichem Erfolg abgeschlossen. Der weitere Weg ist von der Suche nach Qualität zum günstigsten Preis geprägt.
Ein schlüssiges Gesamtkonzept mit langfristiger Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ist allerdings auch heute noch eher die Ausnahme. Insbesondere deshalb, weil der Stand der Kanalsanierungstechnik in Abhängigkeit vom Anwender stark unterschiedlich und häufig schwer durchschaubar ist. Selbst tiefbauerfahrene Ingenieurbüros müssen erkennen, dass die gewünschte technische Lösung „im Untergrund“ nur schwer beschreibbar und die Ausführung im Detail noch schwerer prüfbar ist. Die ständige Suche nach passenden Ausschreibungsvarianten, die den preiswertesten Anbieter nach vorn bringen sollen, steht im Vordergrund. Die Erfahrung lehrt aber auch: Billig kaufen heißt doppelt kaufen – gerade im Bereich der Kanalsanierung.
Ein Dilemma, welches man aktuell durch verschiedenste Qualifizierungsmaßnahmen in den Griff zu bekommen versucht (Güteschutz Kanalbau, ISO-Zertifizierung, DiBt-Zulassung, Ausbildung zum Kanalsanierungsberater, VSB-Richtlinien).
Möchte man insgesamt ein schlüssiges, nachhaltiges Konzept anwenden, kommt man nicht daran vorbei, die Ergebnisse verschiedener Kanalsanierungsverfahren hinsichtlich ihrer Lebensdauer zu beurteilen.
Stimmen die Ausgangswerte?
Hierzu ist es unumgänglich, einen Blick auf die Grundlagen der Kanalsanierung zu werfen: Die im ATV-Merkblatt M 143-1 festgelegte Einteilung der Verfahren zur baulichen Sanierung enthält drei große Untergruppen: die Reparatur-, Renovierungs- und Erneuerungsverfahren [Tabelle 1].
Auf Grundlage dieser Einteilung wurde dann 2003 von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) in den KVR-Leitlinien (Leitlinien zur Durchführung dynamischer Kostenvergleichsberechnungen) die durchschnittliche Nutzungsdauer wasserbaulicher Anlagen festgehalten. Hierbei werden für Kanäle der Erneuerung 50-80 (100) Jahre, der Reparatur 2-15 Jahre und Renovierung 25-40 (50) Jahre zugeschrieben. Die Autoren stellen ausdrücklich fest, dass es sich hierbei um eine statistische Zusammenstellung handelt, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Konsistenz hat. Der Anspruch der KVR-Richtlinien ist zunächst positiv, es sollte ein einheitliches Instrument für Kosten- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen geschaffen werden. Tatsächlich nutzen viele Ingenieure und Kämmerer die hier enthaltenen durchschnittlichen Nutzungsdauern für ihre Vergleichsrechnungen. Die Frage, die sich stellt ist, ob mit heutigem Wissen die hier enthaltenen Grundlagen noch stimmen. Möglicherweise entstehen falsche Sanierungskonzepte, weil von falschen Ausgangswerten ausgegangen wird? Denn unterhalb der Aufteilung baulicher Sanierungsverfahren gruppiert sich heutzutage eine große Anzahl, zum Teil in Funktion und Ergebnis sehr unterschiedlicher Detailtechniken [Tabelle 2].
Bereits am Vergleich verschiedener Reparaturverfahren kommen Zweifel, ob der gewählte Ansatz „Verfahrensgruppe = Lebensdauer“ den heutigen Anforderungen noch genügt. Befragt man Kanalnetzbetreiber, die bereits Erfahrungen mit verschiedenen Kanalsanierungsverfahren gesammelt haben, werden die bei Fachfirmen intern gehandelten Qualitätsunterschiede bestätigt.
Besonders betroffen scheinen hier Reparaturverfahren, da die vielfältigen Ausbesserungs-, Injektions- und Abdichtungsverfahren derart unterschiedlich sind, dass sie wohl kaum eine identische Lebensdauer haben können.
Interessant ist auch der Vergleich mit anderen Veröffentlichungen. So enthalten z.B. die GSTT -Informationen höhere geschätzte Nutzungsdauern. Roboterverfahren beispielsweise werden mit 40-50 Jahren Nutzungsdauer angegeben, Kurzlinerverfahren mit 10 Jahren. Dies entspricht auch den vom erfahrenen Techniker bei Berücksichtigung der technologischen Ausführung zugedachten Werten.
Ein Beispiel
Dem Reparaturverfahren / Injektionsverfahren „Seal-i-Tryn“ kann man in Abhängigkeit vom Grundwasserstand gewöhnlich 2 – 5 Jahre Dichtigkeit attestieren, da das Injektionsgel bei Austrocknung schrumpft und später aufgrund eingeschwemmter Feinteile nicht mehr dicht wird. Beim Reparaturverfahren / Ausbesserungsverfahren „KATE-Robotersanierung“ beispielsweise sind Baustellen bekannt, die bereits vor 20 Jahren ausgeführt worden sind. Mittlerweile wurden aufgrund Trassenänderung auch so sanierte Kanäle wieder ausgegraben und lieferten gute Studienobjekte. Die Qualität dieser KATE-Sanierungen hat sich danach prüfbar nicht verändert. Wie auch, wenn durch Auffräsen des Haftgrundes und Verfüllung mit Epoxidharzbeton ein solides Materialersatzsystem - wie in anderen Sparten des Hoch- und Tiefbaus üblich - geschaffen wird. Möglicherweise muss dann für diese Technik die zu erwartende Lebensdauer in Abhängigkeit vom Erfahrungszeitraum ständig nach oben korrigiert werden.
Auch der Vergleich mit dem für Riss- oder Muffensanierungen zunächst scheinbar gleichermaßen geeigneten Reparaturverfahrens / Abdichtungsverfahrens „Kurzliner“ bringt weitere Unterschiede. Die Qualität des Kurzliners ist extrem abhängig von der manuellen (!) GFK-Mattentränkung sowie von einer vollflächigen Haftgrundvorbereitung. Später kann es passieren, dass die turnusmäßige Kanalreinigung aufgrund der Lage der Spüldüse und aufgrund des Spüldruckes den „Fremdkörper“ im Kanal abhebt. Die zu erwartende Lebensdauer ist damit schwer einzuschätzen und dann wohl nicht höher als 10 Jahre. Eine Unterscheidung von Haupt- und Anschlusskanal erscheint aufgrund unterschiedlicher Betriebsbelastungen dann ebenfalls sinnvoll.
Geht man noch weiter und betrachtet Hutprofiltechniken (Systeme ohne Innenfolie) richtigerweise ebenfalls als Kurzliner, müssen Abstriche hinsichtlich der Lebensdauer zu anderen Anschlusspunkt- Sanierungssystemen gemacht werden. Stutzenverpress- Systeme mit kunststoffmodifiziertem Mikrozement beispielsweise erreichen heutzutage vergleichsweise sehr gute Ergebnisse.
Ein weiteres Beispiel
Die unter der Einteilung Renovierungsverfahren / Auskleidungsverfahren zu findenden Systeme sind nicht einfach gleichzusetzen. So sollte betrachtet werden, ob Verfahren mit örtlich hergestellten und erhärtenden Rohren (z.B. Schlauchliner, Noppenbahnverfahren) gegenüber vorgefertigten oder zusammengefügten Rohren (Kurzrohrrelining, Wickelrohrrelining) die gleiche Lebensdauer zugeschrieben werden kann. Dies ist völlig offen und systemabhängig, wenn man auch neueste, herstellerbezogene Untersuchungen kennt (Saertex-Liner: 70 Jahre, SWP Wickelrohrprofil 100 Jahre).
Bei ganzheitlicher Betrachtung der sanierten Kanalhaltung kommt man auch um die mit Reparaturverfahren eingebundenen Anschlussleitungen nicht herum. Ein hochwertiger Inliner wird erst durch die Kombination mit hochwertiger Anschlusseinbindung zum Qualitätsprodukt mit langer Lebensdauer.
Nicht zuletzt wird auch eine nachhaltig denkende Sanierungsfirma seine Leistungspalette hinsichtlich der eigenen Mängelauswertung gestalten. Es nutzt nichts, billigste Sanierungstechniken anzusammeln, wenn die Mängelbearbeitung dann große Kapazitäten des Unternehmens aufbraucht.
Einheitliches Wertungssystem erforderlich
Es kann nur unser aller Interesse sein, wenn hier mittelfristig ein einheitliches, allgemein verbindliches Wertungssystem entsteht. Dieses müsste sowohl die Materialeigenschaften, die zu erwartenden Betriebsbelastungen als auch die Risiken der Verfahrenstechnik enthalten. Neben identischen Materialtests müssten baugleiche Versuchsstrecken entstehen, die fortlaufend überprüft werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen könnten jährlich veröffentlicht werden. Die dafür erforderlichen finanziellen Mittel könnten über die Kanalnetzbetreiber und Sanierungsfirmen zusammengetragen werden, Fördermittel wären zu beantragen.
Ein Aufruf an neutrale Institutionen, Universitäten und Forschungsinstitute: Wer nimmt das Heft in die Hand?

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Dipl. Ing. Thomas Palaske

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